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Der Schwarzschildeffekt oder die Gemütlichkeit des Silberhalogenids

Es gibt träge Masse, träge Menschen und auch träges Filmmaterial. Genaugenommen spricht man bei letzterer Trägheit vom Schwarzschildeffekt. Dieser beschreibt den sogenannten Reziprozitätsfehler bei langen Belichtungszeiten.

Lochkamera Viktualienmarkt München Schwarzschildeffekt Camera Obscura

Auf dem Viktualienmarkt, München (2007) © Marina Biederbick

Das Reziprozitätsgesetz

Laut Reziprozitätsgesetz wird beim Auftreffen der rechnerisch gleichen Lichtmenge (als Produkt aus Blende und Belichtungszeit) das Filmmaterial immer genauso intensiv geschwärzt. Leider gilt dieses Gesetz bei vielen Filmen nur für Belichtungszeiten zwischen 1/1000 sek. und 1 sek. Unterhalb der 1/1000 Sekunde sorgt der Kurzzeiteffekt für zu schwach belichtete Filme und oberhalb von 1 Sekunde ist der Schwarzschildeffekt für die Unterbelichtung verantwortlich.

Das latente Bild

Dieses Phänomen geht auf die Trägheit des Filmmaterials zurück. Während der Belichtung entsteht ein latentes Bild, das bereits in der Filmemulsion vorhanden, jedoch noch nicht sichtbar ist. (Unter Einfluss von Licht werden einzelne, kleine Silberhalogenide zu metallischem Silber reduziert.) Sichtbar wird das latente Bild erst durch die Entwicklung. Wird ein Film nach der Belichtung lange Zeit nicht entwickelt, bildet sich das latente Bild wieder zurück. Ist das bei der Belichtung auftreffende Licht nur sehr schwach, zerfällt das latente Bild sofort wieder.

Der Schwarzschildeffekt

Um ein stabiles latentes Bild zu erhalten, das sich anschließend gut entwickeln lässt, muss bei Langzeitbelichtungen die Belichtungszeit entsprechend der Schwarzschildinformationen der Filmhersteller verlängert werden. Die ursprüngliche Entdeckung geht auf den Physiker Karl Schwarzschild zurück, dessen Namen sie seit 1900 trägt.

Schwarzschildtabellen für die Lochkamera

Während man bei üblichen Kameras – je nach Gestaltungsintention – die Wahl hat, die Blende weiter zu öffnen statt die Belichtungszeit zu verlängern, bleibt beim Fotografieren mit der Lochkamera nur der Blick in die Schwarzschildtabelle. Nicht immer sind die von den Filmherstellern zur Verfügung gestellten Informationen hilfreich. Häufig findet man nur den Hinweis, dass Belichtungszeiten über 10 sek. nicht empfohlen werden. Hier findet sich eine kleine Sammlung von Schwarzschildtabellen für Lochblende 200, die ich im Laufe der letzten Jahre gesammelt habe. Leider ist sie noch sehr unvollständig und nicht lückenlos auf ihre Richtigkeit getestet. Ich werde mich jedoch bemühen, sie regelmäßig zu aktualisieren und zu erweitern.

Camera Obscura München Stachus Karlsplatz Lochkamera Springbrunnen Schwarzschild Effekt

Am Stachus, München (2007) © Marina Biederbick

Filmtypen

Obgleich der Schwarzschildeffekt bei den meisten Filmen bereits ab 1 sek. beginnt Spuren zu hinterlassen (oder gerade nicht), liefern moderne Diafilme noch bei Belichtungszeiten bis zu 1 min. relativ verlässliche Ergebnisse auch ohne Berücksichtigung von Schwarzschildtabellen. Vorsicht ist hingegen bei schon länger abgelaufenen Farbnegativfilmen geboten, da die Empfindlichkeit durch sehr lange Lagerung (von mehreren Jahren bzw. Jahrzehnten) zusätzlich stark vermindert werden kann. Bei Schwarz-Weiß-Negativfilmen wirkt sich das Alter bei weitem nicht so extrem aus.

Ob alt oder jung, wer träge ist, dem muss auf die Sprünge geholfen werden, in diesem Fall mit Licht und Geduld. Also nehmen Sie zum Fotografieren mit der Lochkamera auch genügend Zeit mit und lassen Sie sich nicht von der Illusion verleiten, dass hochempfindliche Filme bei wenig Licht von Vorteil sind – diese haben nämlich meist ein deutlich schlechteres Schwarzschildverhalten als niedrigempfindliche.


4 Kommentare zu “Der Schwarzschildeffekt oder die Gemütlichkeit des Silberhalogenids”

  1. Hallo Andreas,
    ich habe mir in den letzten Tagen eine Lochkamera gebastelt. Der erste Film ist noch in der Entwicklung. Natürlich greift man da gerne auf Erfahrungen früherer Fotografen zurück um sich erstaml zu orientieren. Da habe ich deinen Artikel über den Schwarzschildeffet gefunden und ebenso die praktische Tabelle. Ich möchte die Diafilme Fuji Velvia 50, sowie Provia 400x verwenden. Bei deiner Tabelle fällt mir auf, dass der Schwarzschildeffekt viel extremer ist, als ich gedacht hatte. bei dem Velvia 100 den du getestet hast ist allerdings fast gar keine Verlängerung der Zeit nötig. Liegt das an dem DIA-Material, dass das anders reagiert als Negativ?
    Dia möchte ich vor allem benutzen, da ich die Dias später als original präsentieren will und zusätzlich scannen, um dann zu drucken.

  2. Der Velvia 100 F hat tatsächlich ein sehr gutes Schwarzschildverhalten und man muss die Zeiten erst recht spät verlängern. Der Velvia 100 F wurde erst 2003 eingeführt und ist somit recht neu. Da die Entwicklung auch im analogen Sektor nicht stillsteht, wurde in diesem Fall die Reziprozitätscharakteristik im Gegensatz zu alten Filmen verbessert. Sowohl Velvia 50 als auch Provia 400X sind ebenfalls neu aufgelegte Filme, für die ich allerdings keine Tabellen besitze. Vermutlich verfügen sie über ein ähnliches Verhalten.
    Bei älteren (auch Dia-) Filmen kann das, wie man an den Tabellen sieht, ganz anders sein.

  3. Hallo überlicht,

    bin gerade über die Schwarzschildtabelle gefallen und habe das mit meiner Standardtabelle aus pinholedesigner abgeglichen… beim Fuji Superia unterscheiden sich die Werte massiv und zwar sowohl nach oben wie nach unten. Ist Eure Quelle da zuverlässig? Ich hatte bisher mit dem OEM Superia (vulgo: rossmann) noch keine massiven Fehlbelichtungen, aber c41 ist da ja leidensfähig 🙂

  4. Danke für die Nachfrage. Den Superia haben wir tatsächlich noch nicht selbst überprüft.

    Die Quelle war bei diesem Film u. a. ein kleines Heftchen von Fujifilm, das zum einen leider nur sehr spärliche Informationen zum Schwarzschildverhalten lieferte: drei Anhaltspunkte für die Belichtungskorrektur mit Angabe von Blendenwerten zur Korrektur – bei der Lochkamera so also nicht praktikabel, da nur die Belichtungszeit angepasst werden kann und dann wiederum der Schwarzschildeffekt zuschlägt. So haben wir auf die angegebenen Werte immer noch ein bisschen Zeit addiert und wahrscheinlich auch die persönliche Vorliebe für „dicht“ belichteten Farbnegativfilm einfließen lassen. Zum anderen stammte das besagte Heftchen aus der Zeit der Jahrtausendwende. Es ist also gut möglich, dass die Emulsion hinsichtlich des Schwarzschildverhaltens seitdem ein bisschen optimiert wurde.

    Wenn Sie bisher eine Tabelle verwenden, mit der Sie gute Ergebnisse erzielen, würde ich Ihnen raten, dabei zu bleiben und auf dieser Grundlage die Werte nach eigener Einschätzung anzupassen.

    Wir werden bei der nächsten Gelegenheit unsere Tabelle testen und, sollten die Werte zu gut gemeint sein, entsprechend korrigieren.

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