Retro ist angesagt und Polaroid sowieso. Polaroid ist sogar so sehr im Trend, dass selbst digitalen Fotografien in der Nachbearbeitung ein „Polaroid-Gewand“ übergestreift wird. In Folge dessen haben manche schon ganz vergessen, wie ein echtes Polaroid aussieht. Schade eigentlich.

Dünengras, Dänemark (2009) - Polaroid 600 SE © Marina Biederbick
Polaroid 600 SE
Polaroids sind nicht scharf, selbst dann nicht, wenn sie mit einer der professionellsten Polaroid-Kameras aufgenommen werden: der Polaroid 600 SE (basierend auf der Mamiya Press). Die 600 SE wurde vom Ende der 70er bis in die 90er Jahre gebaut und verfügt über ein wechselbares Rückteil sowie Wechselobjetive, derer drei verschiedene Brennweiten angeboten wurden: 75 mm (f 5,6), 127 mm (f 4,7) und 150 mm (f 5,6). Trotz der starken Ähnlichkeit zu Mamiya Press und Mamiya Universal sind die Rückteile und Objektive nicht kompatibel. Fotografiert wird mit der Polaroid 600 SE in aller Regel auf Trennbildfilm im Format 10,8 x 8,5 cm² (Typ 100), der ist unter Laien nicht so bekannt ist wie der nahezu quadratische Integralfilm, welcher erst später mit dem SX-70-System eingeführt wurde.

Polaroid 600 SE © Marina Biederbick

Polaroid 600 SE © Marina Biederbick
Filmmaterial
Seit Polaroid im Jahr 2008 Insolvenz angemeldet hat, schwinden die Ressourcen an echten Polaroidfilmen. Wer Glück hat, findet hier und da nochmal ein Päckchen, jedoch nagt der Zahn der Zeit an der Chemie der Filme. Hoffnung weckt das Impossible Project, welches sich um die Wiedergeburt der Sofortbildfilme aus dem Polaroidsortiment bemüht und mittlerweile erste große Erfolge im SX-70-Segment verzeichnet. Ob und wann Impossible einen Ersatz für den Typ-100-Film auf den Markt bringt, steht jedoch in den Sternen. Aber keine Sorge: Eine verlässliche Quelle für Sofortbildfilm im Format 10,8 x 8,5 cm² ist Fuji. Die Packfilme FP-100 C (Farbe), FP-100 B (Schwarz-Weiß) und FP-3000 B (Schwarz-Weiß) sind in vielen Fachgeschäften sowie online erhältlich.

Leuchtturm, Dänemark (2009) - Polaroid 600 SE © Marina Biederbick
Wechselbares Rückteil
Neben dem gängigen Rückteil für Packfilm besteht die Möglichkeit, auch ein Rollfilm- oder ein Einzelblatt-Rückteil für Sofortbildfilm zu adaptieren. Mangels Alternative (das Rollfilmrückteil ist relativ selten und entsprechend teuer) und aufgrund meiner Vorliebe für Packfilm im Format 10,8 x 8,5 cm², die wohl auf „Test-Polas“ vor Großformat-Aufnahmen zurückgeht, verwende ich die 600 SE nur mit Packfilmrückteil. Wenn mir ein anderes Rückteil in die Hände fällt, werde ich darüber berichten.

Teddybär im Garten, Dänemark (2009) - Polaroid 600 SE © Marina Biederbick

Boot am Strand, Dänemark (2009) - Polaroid 600 SE © Marina Biederbick
Handhabung
Die Polaroid 600 SE ist mit ihren 17 x 23 x 18 cm³ (H x B x T) und über 2 kg Gewicht (inkl. 127-mm-Objektiv) definitiv nichts für die Jackentasche. Auch ist sie keine einfache Schnappschuss-Kamera, denn zur Belichtungsmessung ist ein externer Belichtungsmesser nötig, Zeit und Blende müssen von Hand eingestellt werden. Die Fokussierung erfolgt ebenfalls manuell mit Hilfe eines Schnittbildindikators. Nach dem Auslösen wird der belichtete Film zwischen zwei Walzen hindurch aus der Kassette gezogen und nach 30 bis 270 Sekunden der Vorfreude kann das Positivbild abgelöst werden.

Heiligenbild, Ungarn (2009) - Polaroid 600 SE © Marina Biederbick
Fotografieren mit links und andere Besonderheiten
Anders als bei den meisten Kameras befinden sich Griff und Auslöser an der Polaroid 600 SE nicht rechts sondern links. Das ist ungewöhnlich, stört aber in der Praxis überhaupt nicht. Außerdem verfügt die Kamera über zwei Stativgewinde für hochkante und querformatige Aufnahmen. Ein Blitzsynchronanschluss erlaubt zudem das Blitzen mit externen Blitzgeräten. Dank der (für eine Polaroid-Kamera schier unermesslich) vielen Einstellmöglichkeiten kann mit der 600 SE auch sehr bewusst gestaltet und fotografiert werden. Einziger Wermutstropfen ist die für Detailaufnahmen mit 1,1 m etwas zu weite Naheinstellgrenze des 127-mm-Objektivs.

Geburtstagskuchen (2010) - Polaroid 600 SE © Marina Biederbick
Unikat
Jedes Sofortbild (sei es auf Polaroid- oder Fuji-Material) ist ein echtes Unikat, bei dem sich Unregelmäßigkeiten des Materials und der Entwicklung direkt im Bild abzeichnen. Das sorgt für die nötige Portion Eigenständigkeit, die durch das Einfügen von Digitalfotografien in Polaroidrahmen nicht erzielt werden kann. Ebenso wenig können der Geruch der Chemie, die Vorfreude und die nostalgischen Gefühle beim Ablösen des Positivbildes sowie die wunderschöne Haptik des Sofortbildfilms durch digitale Manipulation ersetzt werden.
Geschrieben am 13. Januar 2011 von Marina Biederbick
Kategorien: Analog, Fotografie, Kamera, Test
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