Walimex pro 24mm 1:3,5 Tilt/Shift-Objektiv im Test
Es gibt Objektive, deren Einsatzzweck erschließt sich nicht jedem auf den ersten Blick. So wird sich angesichts eines Objektivs mit Shiftfunktion manch einer fragen, ob man heutzutage Fotos nicht einfach nachträglich im Bildbearbeitungsprogramm entzerren kann. Wer hingegen das Fotografieren noch mit einer Fachkamera erlernt hat, wird die korrekte Ausrichtung der Aufnahme vor Ort durchaus zu schätzen wissen. Was dieses Tilt-Shift-Objektiv im Detail kann, soll im folgenden Testbericht beleuchtet werden.
Lieferumfang und Ausstattung
Im Karton findet sich neben dem Objektiv samt obligatorischer Deckel (der vordere ist ein praktischer Snap-On-Deckel) noch ein schwarzer Objektivbeutel aus synthetischem Samtstoff. Eine Gegenlichtblende sucht man vergebens, doch hat dies durchaus einen Sinn – dazu später mehr.
Grundsätzlich handelt es sich um ein Weitwinkelobjektiv mit 24 mm Brennweite und einer größtmöglichen Blende von f/3,5. Die optische Konstruktion wurde offensichtlich recht aufwendig realisiert und weist 16 vergütete Glaselemente auf, von denen zwei asphärisch geschliffene Linsen und zwei ED-Linsen sind (letztere sorgen mit einer besonders gleichmäßigen Streuung aller Lichtfarben für eine fehlerarme Abbildung). Beim Shiften (deutsch: Verschieben) ist ein Verstellweg von 12 mm in jede Richtung möglich und tilten (deutsch: neigen) lässt sich das Objektiv um bis zu 8,5 Grad. Worüber es nicht verfügt, ist ein Autofokus. Einen solchen bietet allerdings auch kein anderes T/S-Objektiv an. Mit dieser Art Objektiv arbeitet man ohnehin sehr gezielt und eher bedacht, weshalb man hier von keinem Nachteil sprechen kann. Die Blende lässt sich nicht über die Kamera steuern, sondern wird direkt am Blendenring eingestellt. Eine Übertragung des Blendenwerts an die Kamera erfolgt dabei nicht.
Tilten? Shiften? Wozu eigentlich?
Wer das Fotografieren mit einer Kompakt- oder Spiegelreflexkamera gelernt hat, kennt einige scheinbar unumstößliche Regeln. So lässt sich etwa die Perspektive nicht so einfach überlisten: steht man vor einem hohen Gebäude und neigt die Kamera nach oben, dann fluchten die Linien. Das kann zwar als Gestaltungsmittel gezielt genutzt werden, ist in der dokumentarischen Architekturfotografie allerdings nach wie vor verpönt. Und so setzt man dort traditionell häufig Fachkameras mit Balgen ein, welche von achtlosen Betrachtern schnell als antike Kamera oder gar Ziehharmonika abgestempelt werden könnten. Der Vorteil dieser beweglichen Anordnung von Bildebene und Objektiv besteht darin, dass durch horizontales oder vertikales Verschieben der Bildbereich erweitert werden kann. Vor allem analoge Großformatkameras in den Formaten 4×5″ bis 8×10″ finden durch diese Besonderheit bis heute Verwendung, doch auch im digitalen Zeitalter ist diese Kamerabauform unter Einsatz von digitalen Rückteilen nach wie vor im Gebrauch. Mit Preisen von zum Teil deutlich über 20.000 € für ein digitales Rückteil allerdings auch ausgesprochen teuer.
Hier bietet sich ein Shift-Objektiv für Spiegelreflexkameras als relativ kostengünstige Alternative an. Dabei wird auf den modularen Aufbau und den Balgen einer Fachkamera verzichtet, und der Mechanismus zum Shiften (Verschieben) und Tilten (Verschwenken) ist direkt ins Objektiv eingebaut. Damit diese Verstellwege möglich werden, muss das eigentliche Objektiv einen deutlich größeren Bildkreis abdecken, als nur den des Kleinbildsensors. Man kann es sich so vorstellen, dass das auf die Bildebene projezierte Abbild der Wirklichkeit eine Fläche von etwa einem Mittelformatnegativ der Größe 6×6 cm abdeckt. Wenn man nun um die maximal möglichen 12 mm in eine Richtung Shiftet, wandert der Ausschnitt, welchen der Sensor aus dieser Bildfläche aufnimmt, darin herum, ohne an die Ränder zu stoßen. Dadurch werden keine schwarzen Ränder sichtbar, wie es z. B. bei Verwendung eines Objektivs für APS-C-Sensoren an einer Vollformatkamera der Fall ist. Richtet man die Kamera gerade auf ein hohes Gebäude, sodass die Linien alle unverzerrt abgebildet werden, und Shiftet dann nach oben, verschiebt sich der Bildausschnitt derart, dass das Gebäude vollständig abgebildet werden kann, ohne die Kamera nach oben zu neigen und damit fluchtende Linien in Kauf nehmen zu müssen.
Beim Tilten handelt es sich um eine andere Technik, die nicht zwingend mit dem Shiften gekoppelt sein muss. Dabei wird das Objektiv nicht verschoben, sondern in Relation zur Bildebene verschwenkt. Hinsichtlich der Schärfeebene ist dabei etwas Umdenken gefragt. In den meisten Fotokursen wird gelehrt, dass die Schärfe immer in einer Ebene parallel zur Kamera (bzw. zur Film-/Sensorebene) liegt. Bei einem Portraitfoto wird also die abgebildete Person scharf abgebildet und sowohl Vorder-, als auch Hintergrund verschwimmen in Unschärfe. Nun kann man zwar statt auf die Person auch auf den Vordergrund fokussieren, nicht jedoch auf Person, Vorder- und/oder Hintergrund gleichzeitig. Das Tilten ermöglicht es allerdings nach der Scheimpflugschen Regel, die Schärfeebene (bzw. korrekterweise den Schärfekeil) so durch das Bild zu legen, dass die Schärfe etwa von einer Blume im Vordergrund, über das Gesicht der Person bis zu einem Gebäude im Hintergrund verläuft. Gleichzeitig versinken die Bereiche darüber und darunter je nach gewählter Blende in mehr oder weniger Unschärfe. Dieses Phänomen wird gerne für den sogenannten „Miniatureffekt“ genutzt, findet allerdings auch praktischen Nutzen wenn etwa bei einem Produktfoto von mehreren räumlich angeordneten Objekten die Schärfe weiter gedehnt werden soll, als es durch einfaches Abblenden möglich wäre.
Diese Effekte in Worten zu beschreiben, ist natürlich nicht sonderlich anschaulich, weshalb ich in folgendem Video zeige, wie sie in der Praxis aussehen.
Fotografieren mit dem Walimex 24mm 1:3,5 Tilt/Shift
Mit etwas Übung lassen sich all diese Einstellungen auch frei Hand vornehmen. Für wirklich präzise Ergebnisse sollte man jedoch mit einem Stativ arbeiten. Natürlich kann man das Objektiv mit seinen 24 mm Brennweite auch einfach ohne jegliche Verstellung als manuelles Weitwinkelobjektiv nutzen. Doch da bietet es sich eher an, zum Walimex Pro 24mm 1:1,4 AE zu greifen, welches über eine deutlich höhere Lichtstärke verfügt und nur etwas mehr als die Hälfte kostet.
Tilten und Shiften kann man unabhängig voneinander, da die entsprechenden Vorrichtungen auf übereinander angebrachten Ringen liegen und jeweils unabhängig voneinander gedreht werden können. Somit kann etwa nach oben geshiftet und zugleich seitlich getiltet werden. Das ist ein großer Vorteil im Vergleich zum deutlich teureren Nikon PC-E NIKKOR 24 mm 1:3,5D ED, bei dem eine entsprechende Änderung lediglich vom Kundendienst vorgenommen werden kann.
Bildqualität
Der Einsatzbereich des Walimex pro 24mm 1:3,5 Tilt/Shift liegt hauptsächlich in der Architekturfotografie. Und da sind gute Abbildungsleistungen wichtig, schließlich sollen abgebildete Bauwerke möglichst unverzerrt und scharf wiedergegeben werden. Um einen Überblick über die Leistungen des Objektivs zu geben, habe ich eine Reihe Testaufnahmen ohne jegliche Verstellung gemacht und anschließend bis zum Anschlag nach oben geshiftet und das Ganze wiederholt. Für die Fotos ohne Verschiebung habe ich zum Vergleich die beiden weitverbreiteten Zoomobjektive Nikon AF-S NIKKOR 24-70 mm 1:2,8G ED (zum Test) sowie Nikon AF-S NIKKOR 14-24 mm 1:2,8G ED herangezogen. Sämtliche Aufnahmen wurden mit einer Nikon D800 als RAW im NEF-Format gemacht, in Nikon Capture NX2 verarbeitet und anschließend in Photoshop zu Vergleichsbildern zusammengestellt. Da ein Objektiv in der Bildmitte und den -rändern in der Regel unterschiedlich gut abbildet, habe ich jeweils ein Ausschnitt aus der Mitte sowie aus der linken oberen Ecke genommen.
Anhand der beiden Aufnahmen kann man recht gut erkennen, wie stark mit diesem Objektiv geshiftet werden kann. Was man allerdings auch sieht, ist die deutliche tonnenförmige Verzeichnung. Gerade bei vollem Shift ist diese mit dem bloßen Auge deutlich zu erkennen. Und da die Verzeichnung je nach Verschiebung unterschiedlich ausfällt, lässt sie sich auch nicht so leicht (oder gar automatisch) in der Nachbearbeitung entfernen.
An den nachfolgenden Aufnahmen sieht man gut, dass die beiden Zoomobjektive von Nikon in der Bildmitte bei praktisch allen Blendenstufen dem Walimex hinsichtlich der Bildschärfe deutlich überlegen sind. Erst bei Blende f/11, welche für Architekturaufnahmen durchaus realistisch ist, wird die Schärfe auch beim Walimex akzeptabel. Am Rand macht das AF-S NIKKOR 28-70 eine ziemlich schlechte Figur und ab Blende f/8 zieht das Walimex dann auch mit dem 14-24 gleich, bei Blende f/11 und f/16 ist es sogar schärfer. Das verwundert nicht, ist doch der Bildkreis des Walimex deutlich größer als jener der Zoomobjektive. In der letzten Testreihe habe ich den Bildkreis ausgereizt und bis zum Anschlag nach oben geshiftet. Hier wird neben einer sichtbaren Randabdunklung auch deutlich, dass das Objektiv am äußersten Rand seines Bildkreises das Motiv nur noch relativ verwaschen abbildet – unabhängig davon, wie stark man abblendet. Hinzu kommen sichtbare chromatische Abberationen.
Das mag alles wenig überzeugend aussehen. Leider stand mir für diesen Test das vergleichbare Nikon PC-E NIKKOR 24 mm 1:3,5D ED nicht zur Verfügung. Doch als wir es vor einigen Jahren an der Nikon D700 ausprobiert hatten, waren wir von dessen Verzeichnung und Schärfe ebenfalls wenig angetan.
Fazit
Kommen wir zu den entscheidenden Fragen: Für wen eignet sich dieses recht spezielle Objektiv? Und ist es seinen Preis wert?
Architekturfotografen werden die präzise Arbeit vor Ort dem nachträglichen Entzerren stürzender Linien bei der täglichen Arbeit gerne vorziehen. Da ist es dann auch verschmerzbar, dass die Abbildungsleistung nicht in allen Bereichen auf dem Niveau hochwertiger konventioneller Objektive liegt. Preislich ist das Walimex pro 24mm 1:3,5 Tilt/Shift mit einem Preis von ca. 850 € ohnehin ein Schnäppchen, wenn man es mit seinem Äquivalent von Nikon, dem PC-E NIKKOR 24 mm 1:3,5D ED, vergleicht. Das kostet nämlich gut 1000 € mehr und hat für diesen Preis sogar weniger zu bieten. Daher hat das Walimex 24mm Tilt/Shift einen festen Platz in unserer Ausrüstungstasche gefunden.